Abenteuer Westfalengeschwader

Januar 1987: Ein ruhiger Abend

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Ein kalter, ungemütlicher Abend im Januar 1987 im Emsland. Ich genieße den „Feierabend“ am Freitag (Feierabend: ungewöhnliches Wort für einen Soldaten) im warmen Haus in Rheine, denn ich habe keinen Dienst mehr um 18 Uhr, da bei diesem Nebel selbst die Vögel nicht mehr fliegen. Allerdings bin ich in Bereitschaft als Kommandeur Fliegende Gruppe des Geschwaders, da die beiden Kommodores irgendwo unterwegs sind. 

Das Telefon klingelt und ich ahne Ungemach. Der Offizier vom Geschwader (OvG) meldet sich:

„Herr Oberstleutnant, Sie müssen sofort zum Fliegerhorst kommen, der Bundeskanzler ist im Anflug.“ Ich behalte auch nach Dienst meinen Humor und frage den OvG: „Sind Sie sicher, daß es nicht der Kaiser von China ist?“ „Nein, kein Scherz, Herr Oberstleutnant. Der Kontrollturm (Tower) hat gerade gemeldet, daß ein Hubschrauber vom Bundesgrenzschutz mit dem Kanzler wegen des Nebels nicht nach Münster zu einer Wahlkampfveranstaltung fliegen kann, sondern bei uns den Flug abbrechen muß.“

 

Okay, shit happens – sage ich… zu mir selbst. Fliegerkombi an, „kick the tire, light the fire“, wenn man das mit einem alten VW-Käfer machen kann. Kein neuer Rekord für die Fahrt von Rheine zum Fliegerhorst Hopsten, denn der Nebel ist wirklich dicht. Trotzdem trägt es mich in der scharfen Rechtskurve im Dörfchen Dreierwalde kurz vor dem Haupttor des Fliegerhorstes fast aus der Spur.

Mein Gott, der Kanzler darf nicht vor mir eintreffen!

 

Der Kanzler ist da

 

Ist er noch nicht! Ich warte unten vor dem Tower und halte Rufkontakt nach oben. So haben wir das damals ohne Handy gemacht!

20 Minuten und nichts passiert. Dann von oben von der Galerie des Towers: „Gleich kommt er!“

Wie ein Phantom taucht der Hubschrauber, eine PUMA SA 330 in dunkelgrüner Farbe, aus dem Nebel auf und setzt auf der Plattform vor dem Tower ganz vorsichtig auf.

Ich melde dem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, wie es sich gehört:

Herr Bundeskanzler, Oberstleutnant Meyer-Ricks, ich melde das Jagdbombergeschwader 36 Westfalen. Keine Vorkommnisse!“

Helmut Kohl ganz jovial: „Na ja, Herr Oberstleutnant, das ist schon ein Vorkommnis, das ich hier notlanden muß“. Ein Kanzler hat eben immer recht.

 

Warten mit dem Kanzler

 

Der Hubschrauberführer des Bundesgrenzschutzes meldet, daß der Weiterflug wahrscheinlich erst in 30 Minuten möglich sei.

Der Kanzler fragt, wo man denn einen Kaffee trinken könne. Auf dem Tower natürlich, antworte ich und schreite voran, der Kanzler, sein persönlicher Referent und zwei Sicherheitsbeamte hinterher. Der Kaffee von meinen zwei Controllern im Tower war wohl schon vor vielen Stunden aufgesetzt. Der Kanzler läßt sich nichts anmerken. Helmut Kohl hat wohl schon Schlimmeres erlebt.

Der Kontrollraum mit dem gedämpften roten Licht und den vielen Instrumenten bietet eine besondere Atmosphäre. Ich stelle Helmut Kohl den Auftrag und die Aufgaben des Geschwaders vor und der Kanzler scheint interessiert zu sein.

Dialog mit dem Bundeskanzler (Bk)

Er fragt, ob es hier auch so etwas wie ein Kantine gäbe, um einen Sandwich zu bestellen. Ein  Dialog entspinnt sich:

Ich: „Leider nicht, Herr Bundeskanzler, alles geschlossen am Freitagabend.“

Bk: „Ich dachte, das sei hier ein Einsatzgeschwader.“

Ich: „Stimmt, Herr Bundeskanzler, deswegen haben wir auch eine Alarmrotte in Bereitschaft.“

Bk: „Aha, die können wir ja jetzt kurz besuchen.“

Ich:Leider nein, Herr Bundeskanzler. Die Alarmrotte untersteht direkt der NATO und dieser Bereich ist Sperrzone.“

Bk: „Wollen Sie sagen, Herr Oberstleutnant, daß ich als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in meinem eigenen Land nicht in eine sogenannte Sperrzone darf?“

Ich: „So ist das, Herr Bundeskanzler. Das ist eben NATO.“

 

Weitere 30 Minuten Wartezeit

Helmut Kohl ist offensichtlich „not amused“ und scheint auf mein großes Namensschild an meiner Fliegerkombi zu starren. Schade, damit habe ich wohl meinen Enddienstgrad erreicht.

Ich versuche zu retten, was wohl nicht mehr zu retten ist: „Noch eine Tasse Kaffe, Herr Bundeskanzler, jetzt frisch aufgebrüht?“ Er nimmt dankend an. Weiterer Versuch meinerseits: „Herr Bundeskanzler, ich habe immer in meiner Fliegerkombi eine Prinzen Rolle von de Beukelarer als Notration.  Darf ich Ihnen einen Keks anbieten? Er nimmt dankend an. Sein Blick auf mein Namensschild scheint jetzt schon etwas wohlwollender zu sein.

Abmarsch

Ich bin gar nicht böse, als ein Pilot des Bundesgrenzschutzes zum Tower hochruft, daß man bereit sei zum Weiterflug. Ich melde dem Kanzler vor dem Hubschrauber das Geschwader ab, wie es sich gehört. Helmut Kohl bedankt sich: „War sehr interessant, sehr interessant. Vielleicht sehen wir uns mal wieder.“ Ist das jetzt zynisch? Nein, so ist er nicht.

 

Epilog 

 

Wir haben uns tatsächlich noch mehrmals gesehen, als ich später Pressesprecher im Verteidigungsministerium war und noch später als Sprecher von Nato-Europa. Man sagte Helmut Kohl nach, er hätte ein Gedächtnis wie ein Elefant. Tatsächlich sprach er mich bei jedem unserer Treffen auf seine „Notlandung“ in Rheine-Hopsten an. Vielleicht nur wegen der Prinzen-Rolle!?

Als ich am folgenden Montag bei der morgendlichen Kommandeursbesprechung dem Kommodore meldete, daß der Bundeskanzler am Freitagabend auf den Fliegerhorst zwischengelandet sei und eine Stunde auf dem Tower gewartet hätte, erwiderte er: „Erzähl mir keine Geschichten Meyer-Ricks, das war wahrscheinlich der Kaiser von China.“

Jorge

Wurzeln: Deutsch / Englisch / Argentinisch Schule: Abitur deutsch Ausbildung - praktisch: Fliegerischer Dienst Jet Luftwaffe - akademisch: Führungsakademie der Bundeswehr Verwendungen u.a. : - Kommandeur Fliegerischer Dienst - vd. Verwendungen im Generalstabsdienst - Sprecher im Verteidigungsministerium - Sprecher NATO - vd. Verwendungen im Ausland

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