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Abenteuer Schongau

oder: Wie überlebe ich einen Überlebenslehrgang?

Es geschah im heißen Sommer im Jahre des Herrn neunzehnhunderteinundsiebzig:

Gerade fertig mit der fliegerischen Ausbildung in Fürstenfeldbruck und der Umschulung auf die Phantom RF-4E in Bremgarten wurde ich zum Lehrgang „Überleben Land“ zur Luftlandeschule des Deutschen Heeres nach Altenstadt bei Schongau ins tiefste Bayern kommandiert.

Jeder, der in der deutschen Luftwaffe Jet fliegt, muß lernen, wie man nach einem Ausschuss mit dem Schleudersitz und überlebter Landung mit dem Fallschirm dann (nochmal!) überleben kann. Und zwar (natürlich) im Feindesland bis der rettende eigene Hubschrauber kommt und den verzweifelten, armen Tropf über die feindlichen Linien nach Hause bringt.

Also es mußte wohl sein: Eine lange Woche ohne die geliebte Fliegerei und dafür unbekanntes Üben knapp über, auf, oder auch unter der Erde.

Sonntag: Abfahrt

Jetzt ab mit dem privaten VW Käfer (man konnte sich so ein Auto als gerade beförderter Oberleutnant schon leisten!) von Bremgarten bei Freiburg durch den Schwarzwald und von West nach Ost ins Allgäu bei 35 Grad Hitze. Gut, daß man von der Ausbildung in den USA das Prinzip der mexikanischen Air Condition des Käfers kannte:  Fenster lange geschlossen halten bis 50 Grad, dann ganz schnell runterkurbeln: „Herrlich diese Abkühlung“! Übrigens: Die Sommer waren damals wärmer und länger als heute, nur hatte man noch nichts von dem Kampfbegriff der „globalen Erwärmung“ gehört.

Eintreffen und Meldung bei dem Eliteverband des Deutschen Herres: Rüder Ton: „Soldaten stillgestanden!“ und nicht: „Schön, daß sie da sind. meine Herren von der Luftwaffe“.

4 Soldaten auf einer Bude. Mein Gott, wir waren Offiziere der Luftwaffe! Egal, der Lehrgang hieß ja eben auch: „Überleben“!

Abends im Offizierheim: Voller Fallschirmjäger , die offensichtlich stolz waren, ohne Not und freiwillig aus einem heilem Flugzeug zu springen. Unverständlich für uns Flieger!

Erster Tag: Üben und nochmal üben

Am ersten Tag bei schlappen 36 Grad Außentemperatur wurden auf dem Fallschirmspringer-übungsgelände die Verfahren nach dem Öffnen des Fallschirms und die perfekte Landung mit seitlichem Abrollen geübt. Eine Stunde Üben hätten uns „Herren von der Luftwaffe „ durchaus gereicht, aber die Soldaten des Heeres meinten wohl, wir wären etwas schwer von Verstand. Den ganzen Tag immer wieder die gleichen Übungen!

Dienstag: Ernst des Lebens

Der zweite Tag war endlich der Springertag. Der berühmt-berüchtigte Sprungturm war schon von unten beeindruckend. Von unten ca. 12 Meter hoch!

Von oben gefühlte 20 Meter hoch – oder viel mehr! Aber erst mußten wir über die freitragende Treppe nach oben gelangen. Kein Aufzug für uns von der Luftwaffe!  Von unten konnte man die ersten Flieger springen sehen. Paradox, aber wahr!

Der eine oder andere blieb an der Kante stehen und zögerte offensichtlich vor dem Abflug. Dann flog er doch, allerdings mehr herabgestürzt als geflogen. Haltungsnote oft „mangelhaft“!

Den Fallschirmjäger, der unsere Ausrüstung vor dem Aufstieg kontrollierte, fragte ich, ob der Absetzer (der im Transportflugzeug für den  geordneten Ausstieg der Fallschirmjäger verantwortlich ist) eventuell auch mit einem Schubser oder ähnlichem beim Absprung behilflich sein könnte. Die Antwort war klar: „Bei den meisten Weicheiern von der Luftwaffe helfen wir nach“!

Wie gesagt: Rüder Ton beim Deutschen Heer!

Mit Fliegerstiefel, Kampfweste, Springerhelm und einem Geschirr um den Körper für den Absprung in das schräge Drahtseil war der Aufstieg schon schweißtreibend. Oben auf der Plattform wurde man eingeklinkt um dann zuerst im freien Fall und dann weiter am schrägen Seil unter Anwendung der „procedures“ an den Boden quasi zu rutschen und mit einer halben Rolle endgütig zu landen. Jetzt stand ich als Dritter auf der Plattform. Der Puls raste, nicht nur vom Aufstieg. Von der Supersicht bis zu den Alpen nahm ich kaum Notiz.  Die Sicht aber direkt nach unten: Oh, mein Gott!

Nun war ich dran: Ich wußte, ich mußte springen – so oder so. Ich zischte dem Absetzer, einem gestandenen Hauptfeldwebel, zu: „Herr Hauptfeld, Sie dürfen mich in den Hintern treten“:

Ich glaubte es nicht, als er antwortete: „Nein, Herr Oberleutnant, so etwas machen wir nicht“.

Verdammt – und schon flog ich, wohl mit Haltungsnote „sechs“ dem Erdboden entgegen. Ich knallte in die Seile. Die blauen Striemen an den Schultern konnte man noch wochenlang sehen.

Jetzt schnell die procedures kloppen: Blick nach oben, ob die (nicht vorhandene) Fallschirmkappe sich ganz geöffnet hätte, rechts die „Dinghy Lowering Line“ lösen (womit das Schlauchboot befestigt wäre) und Griff mit beiden Händen auf das Fallschirm-Zentralschloss. Halbe Rolle zur Seite. Geschafft!

Typisch Mensch als Gewohnheitstier: Der obligatorisch zweite Sprung gelang ohne weitere Probleme. Kann sein, daß ich sogar selbst abgesprungen bin!

Mittwoch: Ausbildung im Gelände

Für geborene Stadtmenschen und monothematische Technikfreaks werden von den Ausbildern interessante Einblicke in die Natur und das Leben mit der Natur geliefert. Wie mache ich ein Feuer ohne Hilfsmittel, welche Pflanzen kann man essen, oder besser nicht, etc.?  Borken vom Baum abschälen und über dem Feuer erhitzen! Man lernt es, aber der Hunger muß schon sehr groß sein. Noch größer muß der Hunger sein, wenn man schwarze Käfer sammelt und sie auf dem Feuer brät  — und dann sogar – eventuell –  ißt.

Die Ausbilder vom Deutschen Heer, richtig harte Jungs, zeigen uns, wie man ein Huhn und dann sogar ein Kaninchen schlachtet. Nicht in der Theorie, sonder in realitas! Na ja, ich muß ja auch nicht unbedingt im Feindesland mit dem Schleudersitz aussteigen, ich kann ja auch ruhig nach Hause fliegen, oder?

Mehr Spaß gemacht hat dann das Abseilen am 20 Meter Abhang. Richtig professionell, wie die Bergretter.

 

Donnerstag und Freitag: Überleben!

Antreten um 6 Uhr morgens (typisch Heer!) auf dem Exerzierplatz zum Höhepunkt des Lehrgangs: 30 Stunden Überleben im Gelände!

Anzug: Fliegerstiefel, Fliegerkombi, Lederjacke

Ausrüstung: Karte Maßstab 1:500.000: für das Zurechtfinden am Boden nicht zu gebrauchen, Kompass, Esbitkocher, Taschenlampe, Signalpistole, Funkgerät, Pumamesser,  und einige kleine, seltsame Dinge mehr. Jeder Pfadfinder hätte seine Freude daran gehabt!

Aber: keine Naturalien, sprich: Eßbares!

Uns, den Herren Offizieren und Lehrgangsteilnehmern von der Deutschen Luftwaffe, hatten sich gegenüber die Ausbilder vom Deutschen Heer unter Leitung eines Hauptmanns der Fallschirmjäger in martialischer Kampfmonitur aufgebaut. Seitlich daneben ein ganzer Zug, also 36 Soldaten, einer Kompanie des Heeres. Alles Panzergrenadiere in der Grundausbildung. Sie sollten den Feind darstellen mit der Aufgabe, die abgesprungenen Besatzungen der Feindflugzeuge zu finden und festzusetzen. Die Wehrpflichtigen machten den Eindruck, daß sie sich über diese Übung und den Auftrag, Offiziere der Luftwaffe zu fangen, richtig freuten.

Einweisung in die Übung

Absetzen jeden einzelnen Feindfliegers mit dem Mannschaftstransportwagen MTW 7-Tonner „Magirus-Deutz“ mit Vollplane an unbekanntem Ort. Feststellung Standort, Tarnen und Verbleiben. Nach gesondertem Befehl Bewegen unter ständiger Deckung nach Kompass und natürlichen Hilfsmitteln zu Punkt „B“. Dort Verpflegung aufnehmen und Verbleiben. Nach weiterem Befehl  Durchschlagen zu Punkt „C“. Kontaktaufnahme mit CSAR-Hubschrauber (Combat Search and Rescue), Identifizierung und Boarding des CSAR-Hubschrauber unter Feindbeschuss (hoffentlich nur simuliert!).

Alles klar?

Verpflegung

Einzelbefragung durch den Spieß der Ausbildungseinheit: „Wollen Sie am Punkt „B“, Kaninchen oder Huhn“?

„Wie bitte“?

„Sie finden an ihrem Punkt“B“ ein an einem Baum angebundenes Kaninchen oder eben ein Huhn!

Das machte die Sache in der Übung einfacher“!

„Aha, dann lieber Huhn“!

Oh mein Gott, ich soll selber ein Huhn schlachten!?

Na ja, ich bin ja von der Luftwaffe und wir haben immer einen Plan „B“!

Der Spieß tritt auf jeden Lehrgangsteilnehmer zu, und fragt, militärisch korrekt: „Darf ich Sie anfassen“?

Linke obere Tasche am Ärmel der Fliegerkombi: „Zigaretten okay, Feuerzeug bleibt hier“! Linke untere Tasche am Bein: „Die Prinzenrolle von de Beukelaer müssen wir leider einziehen.“ Rechte Tasche: „Auch die Doppelstulle mit leckerer Mettwurst vom Frühstück um 5 Uhr muß leider hierbleiben“!

„Sonst aber viel Erfolg beim Überleben, Herr Oberleutnant“!

Mein Gott, das hätte ich mir denken können! Adiós Plan „B“!

Irgendwie peinlich, aber ich wußte mich in zahlreicher, wenn nicht in hundertprozentiger Gesellschaft!

Abmarsch

Eine halbe Stunde Fahrt hinten auf der Pritsche unter der Plane irgendwohin. Nicht ganz, denn ich hatte natürlich am Abend vorher die Karte vom Sauwald, dem Standortübungsplatz im Südwesten von Altenstadt/Schongau, studiert. Luftwaffe eben doch!

Abrupter Stopp. Der erste Delinquent wurde namentlich herausgerufen. Man konnte nicht sehen, wo wir genau waren. So ging es weiter bis ich an der Reihe war. Sprung von der Ladefläche und schon war ich allein. Vielleicht für die nächsten 30 Stunden.

Absetzen

Wo war ich? Waldrand, Feldweg, Wiese. Kühle Überlegung: 20 Minuten Fahrt mit dem MTW auf asphaltierter Straße von Altenstadt, circa 10 Minuten dann auf Feldwegen.

Karte raus, trotz (Scheiß)- Maßstab:  Feldweg mit 90 Grad Knick, Waldrand mit markanter Einbuchtung. Aha: Ich befand mich am westlichen Rand des Sauwalds in Richtung Lech-Staustufe. Ganz einfach! Für „Heeresmuckel“ wohl schwierig.

Ich baue mir mit Tannenzweigen einen kleinen Unterstand: Nach hinten Deckung gegen den Wald, nach vorne Richtung Westen freie Sicht über die Felder. Ab und zu höre ich aus dem Wald Stimmen und offenbar Anweisungen zum Aufspüren der feindlichen NATO-Flieger. Die Grenadiere erwarten wohl den Feind mitten im Wald. Die Stimmen werden wieder leiser und werden dann vom Wind verweht. Mir geht es gut, obwohl ich langsam meine Prinzenrolle vermisse. Ich hatte gar nicht gewußt, daß Überleben im Gelände so langweilig sein kann. Ich dämmerte vor mich hin.

Gegen 10 Uhr dann ein Fahrzeuggeräusch von Nordwesten. Ich nahm Volldeckung. Ein Bundeswehr 0,25 Tonner „DKW“ näherte sich meiner Stellung. Es war der Spieß, also sozusagen ein Neutraler. Er rief von weitem: „Oberleutnant, Stellung verlassen und zu Punkt B bewegen.“ Ich kroch aus meiner Deckung und er gab mir ein Karte, Maßstab 1: 50.000. Unsere Karte für den Jabo-Zielanflug. Geht doch!

Wieder war ich allein.

Marsch im Feindgebiet

Blick auf die Karte: Der Punkt „B“ war zwar „nur“ gute 10 Kilometer entfernt, aber unter Deckung durch den Wald konnte das Stunden dauern. Los gings. In einem dichten Wald – Sauwald eben – zu „navigieren“ war doch schwieriger als ich dachte. Markant waren die Formen der Waldlichtungen, aber nicht immer stimmten sie mit der Karte überein. Dann wieder zurück und neuer Versuch. Der Wald war so dicht, daß man nur selten die Sonne sehen konnte, die Flieger ja zur Navigation brauchen. Vom Baumsterben keine Spur, nur pralle Natur. Mehrfach mußte ich Deckung nehmen und Umwege laufen, denn die Häscher schienen überall zu sein.

Dann um 14 Uhr mein Punkt „B“ vor mir: Eine Lichtung und ein kleiner Bach.

Das Huhn und ich – erste Bekanntschaft

Wo war meine Verpflegung? 9 Stunden seit dem Frühstück. Kein Huhn in Sicht. Dann, 50 Meter seitlich von Punkt „B“ (Das Deutsche Heer kann nicht navigieren!) tatsächlich eine armselige Kreatur mit einem Strick an einen Baum gebunden. Ich stellte erst wieder, wie gelernt, Deckung mit Unterstand her, und näherte mich dann vorsichtig meinem Mittagessen. Vorsichtig, denn ein Huhn kann wohl beißen, oder hacken, oder so. Stadtmensch! Ehrlich gesagt, ein Huhn ist nicht ansehnlich. Besonders die Läufe mit den Zehen – ekelhaft! Mein Huhn war offensichtlich von der Gefangenschaft schon müde und ignorierte mich. Ich überlegte ernsthaft, ob ich auf Huhn zum Mittag verzichten sollte. Nur noch circa  22 Stunden bis zum wahrscheinlichen Übungsende. Sehr lange!

Das Huhn und ich – jetzt wird es ernst

Es dauerte, bis ich mich überwand, und versuchte das zu machen, was ich am Tag vorher gelernt hatte: Mit allem Mut der Welt stürzte ich mich auf das Huhn, packte es an der Gurgel und schnitt mit meinem Pumamesser das Strick durch. Jetzt bloß nicht loslassen!

Ich wirbelte mit großem Armkreisen das arme Huhn eine lange Minute durch die Luft und es sollte  gemäß der Ausbildung nun ohnmächtig sein. Ein brutaler Schnitt mit dem Pumamesser durch den Hals! Kopf ab. Das Blut spritzte. Wie im Krieg!

Wie schon gesagt, ich bin ein typischer Stadtmensch. Das Blut spritzte mir natürlich entgegen und – ich ließ los. Das arme Huhn stürzte zu Boden und rannte – völlig kopflos – in Richtung Bach. 

Was nun zu tun?

Nichts. Ich wartete, bis die letzten Zuckungen zu erkennen waren und holte das Vieh vorsichtig zurück zu meiner Stellung.

Nur gut, daß dieser Teil der Überlebensübung nicht mit einer Note bewertet werden konnte.

Hähnchenbräterei

Huhnrupfen mit nur lauwarmen Wasser ist nicht zielführend. Im Deckel der Bundeswehrfeldflasche  wollte ich nun Wasser (aus dem Bach – kristallklar) erhitzen. Viel Zeit war inzwischen verstrichen. Zudem waren immer wieder die Stimmen des Feindes in der Nähe zu hören. Also: Schnell rupfen und Ergebnis: Haut überall eingerissen. Das Feuer mit dem Esbitkocher zu entzünden gelang mir überraschend gut. Irgendwas konnte ich also doch!

Das Fleisch des Huhns nahm Farbe an.

Wieder näherte sich das Geräusch des bekannten Jeeps.

„Oberleutnant, sofort aufbrechen! Bewegen unter Deckung zu Punkt „C“. Hier ist die Karte!“

„Stopp, stopp, Hauptfeld! Ich habe noch nicht gegessen!“

„Sehr geehrter Herr Oberleutnant, wir sind im Krieg, okay?“

„Okay“!

Reine Schikane!

Verfluchter Krieg!

Mit Widerwillen, aber eben Hunger, biß ich ein paar Mal in das halbgare Fleisch. Am Bach spülte ich meinen Mund mit dem kristallklaren Wasser aus und nahm einige kräftige Schluck. Jetzt die Feldflasche auffüllen und die Stellung aufklaren.

Was nun mit dem Huhn? Ab in den Bach! Sieh da: Das Huhn konnte schwimmen und verschwand aus meinem Blick. Gut so! Blödes Huhn!

Fast gefangen

Nach einem kurzen Kartenstudium machte ich auf den Weg, es war inzwischen 18 Uhr. Zum Punkt „C“ mußte ich schon tief in den Sauwald hinein. immer Richtung Ost. Ich könnte es in einer Stunde schaffen. Dann aber Stimmen von vorne. Ich drehte nach Norden ab um tiefer im Wald notfalls besser Deckung nehmen zu können. Nun schien die Stimme der feindlichen Grenadiere näher zu kommen und dann noch aus allen Richtungen. Diese verdammten Russen wollen mich einkreisen! Wenige Meter vor mir ein kleines Feld von hohem Farnkraut. Vielleicht war das meine letzte Chance. Ich glitt vorsichtig zu Boden, damit die Gräser weiter gerade und hoch stehenblieben. Mein Atem ging schneller. Eigentlich wie lächerlich, denn es war ja nur eine Übung. Und die Russen sprachen ja Deutsch! Aber doch eine Frage der Ehre sich nicht gefangen nehmen zu lassen! Schon mal gar nicht von Heeressoldaten!

Ein feindlicher Soldat kam tatsächlich direkt auf mich zu. Ganz ruhig bleiben, Oberleutnant Meyer-Ricks, ganz, ganz ruhig jetzt!

Dieser ignorantische Heeressoldat trat fast auf meine linke Hand. Schnell wegziehen konnte ich sie ja auch nicht. Er schlich weiter und rief seinen oliven Kameraden zu: „Dieser verdammte Flieger muß doch hier irgendwo sein“! Ich hätte gern gerufen: „ Nicht irgendwo, sonder hier, Du Stoppelhopser“!

Eine gefühlte halbe Stunde blieb ich im Farn liegen. Keine Stimmen des Feindes mehr!

Combat Search and Rescue

Es wurde bereits dämmrig. Ich hatte viel Zeit verloren, aber ich näherte mich, immer wieder Deckung suchend, dem ersehnten Punkt „C“. Auf der Lichtung konnte ich den Hubschrauber meiner Luftwaffe , eine Bell UH-1D sehen. Die Besatzung sicherte rundum. Ich nahm das Funkgerät, drehte die Frequenz ein und sprach leise. „Uhey from Jogi, over“! Uhey antwortete: „Jogi, Code?“.  Verdammt, wie war nochmal mein Code? Aufschreiben durfte man ihn ja auf keinen Fall. War es „Prinzenrolle“ oder „De Beukelaer“? Klar: Prinzenrolle! „Uhey, Code Prinzenrolle“! „Okay, Jogi, cleared for approaching UHEY“! Ich durfte mich in Richtung Helikopter bewegen!

Toll, meine Luftwaffe! Sprung auf und 50 Meter in 10 Sekunden am Hubi. In Fliegerstiefeln geht es nicht schneller.

Gerettet!

Der Flug über die „feindlichen Linien“ verlief ohne Probleme. Deutsche Luftwaffe eben!

Übungsende

Bis zur völligen Dunkelheit hatten wir auch fast alle anderen Fliegerkameraden aufgepickt und wurden in der Kaserne Altenstadt auf dem bekannten Exerzierplatz abgesetzt. Nur zwei recht traurige aussehende Piloten warten bereits auf uns. Sie waren gefangengenommen worden und peinlicherweise im Magirus-Deutz zurückbefördert worden. Irgendwie war ich stolz auf mich, obwohl mir jetzt schon ein bisschen übel war. Vom Hunger und/oder von dem Huhn?

Nochmal: „Lehrgangsteilnehmer stillgestanden“!

Der Heereshauptmann hatte offensichtlich in dieser Woche trotz des guten Einflusses der Deutschen Luftwaffe noch keine Fortschritte im Ton gemacht!

„Die Durchschlageübung und damit auch der Lehrgang insgesamt sind hiermit beendet. Morgen 8 Uhr Antreten an gleicher Stelle und Empfang der Lehrgangsbescheinigungen. Dann Heimreise. 

Jetzt Körperpflege 15 Minuten (!) und dann Sonder-Abendverpflegung im Speisesaal um 23 Uhr“.

Wie flexibel das Deutsche Heer sein kann! Keine Nachtübung mehr und dann auch noch Sonderverpflegung!

Augenblick mal: Sonderverpflegung? Heißt das: Huhn und/oder Kaninchen?

Mehr verrate ich jetzt aber wirklich nicht mehr!

Die Moral von der Geschicht`:

– noch mehr Hähnchen in meinem Leben mag ich nicht –

– und auch die vielen blauen Striemen mußte ich meiner Frau erklären,

  um ihre Verdächtigungen abzuwehren.

Überleben ist alles!

– – Und ohne Überleben ist alles nichts!

Jorge

Wurzeln: Deutsch / Englisch / Argentinisch Schule: Abitur deutsch Ausbildung - praktisch: Fliegerischer Dienst Jet Luftwaffe - akademisch: Führungsakademie der Bundeswehr Verwendungen u.a. : - Kommandeur Fliegerischer Dienst - vd. Verwendungen im Generalstabsdienst - Sprecher im Verteidigungsministerium - Sprecher NATO - vd. Verwendungen im Ausland

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Waldemar Zimmermann

    Das Eingangsfoto ganz oben zeigt die Vorbereitung zu einem Radar-Nite-Low-Level clockwise oder counter-clockwise

  2. Kalle Neumann

    Jörg, dieser Erfahrungsbericht ist eine Super-Erfolgsstory (mit Happy End) für das „Überleben Land“ in unserer Lw-Ausbildung. Auch wenn bei mir dieses Erlebnis mehr als 50 Jahre zurückliegt konnte ich aufgrund Deiner detaillierten Schilderung jede von Dir beschriebenen Situation wieder hautnah in der Erinnerung miterleben. Absolut super geschildert.
    Bei meinem Ausschuss in USA brauchte ich auf dieses Wissen „Gutt sei Dank“nicht zurückgreifen.
    Hast Du auch einen Bericht über das „Sea-Survival-Training“ in der Feder??
    Darf ich Deine Survivalstory mit meinen Freunden auf FB teilen ??

    1. Hallo Kalle! Freut mich, daß auch Du Dich hier wiedererkennst. Klar, Du kannst die Story verwenden. War Dein Ausschuss mit der F111? Ich kann mich nur schwach erinnern, daß Du auch die F-111 geflogen bist. Ich glaube aber mich erinnern zu können, daß Norbert Pinne in Cannon AFB auch F-111 geflogen ist. Stimmt das? Grüße

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